Kinderbuch über Flucht und Integration: „Forschungsgruppe Erbsensuppe“ von Rieke Patwardhan

Buchcover Forschungsgruppe Erbsensuppe

Die deutsche Kinderbuchautorin Rieke Patwardhan lebt mit ihrer Familie in Hamburg und ist einigen vielleicht schon durch ihre Vorlesebücher der Reihe „Fräulein Schmalzbrot & Billie Ballonfahrer„* für Kindergartenkinder und Schulanfänger/innen bekannt.

Forschungsgruppe Erbsensuppe*: oder wie wir Omas großem Geheimnis auf die Spur kamen

In dieser Geschichte richtet sie die Autorin nun an ältere Schulkinder, zeigt Strukturen in der Schule und bei Lehrkräften auf und wirft ein Blick auf die Dynamiken im Klassenverband. Die Story: Nils ist ein ruhiger Junge und Mitläufer in der Klasse, Freunde scheint er nicht zu haben. Eines Tages wird die Außenseiterin und kleine Rebellin Evi, die immer mit dem Kopf durch die Wand will, neben ihn gesetzt. Sie gründen zusammen eine Bande (naja gut – Evi gründet und Nils traut sich nicht, zu widersprechen) und verbringen von da ab gemeinsam die Nachmittag bei Nils Großeltern. Seine Oma kocht jeden Nachmittag ein wunderbares Mittagessen. Als die mit ihrem Vater aus Syrien geflohene Lina neu in die Klasse kommt, stößt sie zu den beiden dazu. Die Kinder helfen sich gegenseitig und entwickeln sich. Nils ist nicht mehr so allein und wird etwas mutiger, Evi ist nicht mehr ganz so aggressiv und Lina lernt, im neuen Land anzukommen. Die sich bildenden Freundschaften tragen die Kinder durch den Alltag, die Unwägbarkeiten der Schulzeit und eben auch durch private Probleme.

Buchcover Forschungsgruppe Erbsensuppe

Ein Kinderbuch gegen (Alltags)Rassismus & über Integration

 

Hier hat man kein seichtes, romantisierendes Kinderbüchlein, sondern trifft auf gut entworfene Figuren. Die chaotische, aber starke Evi mit ihren klaren, moralischen Ansichten ist genauso wie der ruhige, brave, ausgleichende Nils (mit dem sich bestimmt viele identifizieren können und aus dessen Sicht erzählt wird) ein toller Charakter. Und auch Lina ist kein armes, schwaches Flüchtlingsmädchen, das einen mit großen tränenfeuchten Augen dankbar anblickt…
Ganz zart und feinfühlend wird hier die richtige Saite angeschlagen und den Kindern ohne belehrende Worte gezeigt, was gutes und richtiges Verhalten ist, wenn ihnen Vorurteile, Fremdenhass, kolonialistische Verhaltensweisen und gedankenloser, leider oft alltäglicher Rassismus begegnen.
Zum Beispiel als die brave Sofie und der liebe Pit – die bisherigen Anführer im Klassenverband –, die sich ganz dringend „Flüchtlinge“ für ihre Klasse gewünscht hatten, weil die angeblich alle so gut Fußball spielen können, plötzlich beschließen Mohammed und Adil aus der Nachbarklasse zu bespitzeln. In ihren Familien wird halt abfällig über Muslime geredet und in den Nachrichten kam was zu Terroranschlägen – für die beiden Kinder, die alles aus dem Elternhaus nachplappern, ist damit klar, dass die Mitschüler mit der anderen Hautfarbe auch Attentäter sind.
Eine Aktion, die dazu führt, dass die explosive Evi vollkommen zu Recht in die Luft geht. Anhand von konkreten Situationen im (Schul-)Alltag lernen die kleinen Leser/innen die Stirn zu runzeln und zu hinterfragen und zwar durchaus auch die Aussagen und das Verhalten der Eltern und Lehrer/innen. Das ist wichtiges Empowerment und eine Selbstermächtigung für Kinder, die für ihr weiteres Leben wichtig ist – das kann man ja momentan auch im realen Leben bei den #FridayforFuture-Demonstrationen sehen.

 

Fluchtgeschichten damals und heute

Doch die Fluchtgeschichte von Lina, die ihre Mama zurücklassen musste, und die Berichte über Kriege im Fernsehen bringen auch Nils Familie in Bewegung. Sie wühlen auf, triggern Nils Oma – die sonst Fels in der Brandung ist und sich plötzlich komisch verhält und anfängt Dosenerbsensuppe zu horten – was dazu führt, dass die Kinder die Detektivbande „Forschungsgruppe Erbsensuppe“ gründen.
Der Großvater erzählt zudem wie das damals so war, nach dem zweiten Weltkrieg, als Deutschland sich plötzlich einer Flüchtlingswelle (und zwar einer weitaus größeren, als wir sie heutzutage erleben) gegenüber sah. Als Familien ihre Zimmer hergeben mussten für das sogenannte „Flüchtlingspack“. Traumatisierte Flüchtende ohne Hab und Gut, oft krank und hungrig und mit Lieben, die während der schwierigen und entbehrungsreichen Flucht gestorben waren. Deutsche, die Deutsche als Fremde ausgrenzten. Die Geschichten und widerlichen Begriffe und Bezeichnungen sind die gleichen, wie sie auch heutzutage wieder rausgekramt werden. Der Mensch, der nicht nachdenkt, nicht dazu lernt, hat Angst vor ihm unbekannten Dingen. Vielleicht verständlich. Dass daraus aber Hass und Gewalt geboren wird, ist unverzeihlich.

Empfehlenswertes Kinderbuch für Schulkinder

„Forschungsgruppe Erbsensuppe“ ist ein toll geschriebenes und empfehlenswertes Buch, mit wichtigem und gutem Thema, das mit leichter Hand und echtem Witz geschrieben ist und nicht diesen unangenehm pseudo-kindlichen Tenor anderer Kinderbücher hat. Hier findet sich kein erhobener Zeigefinder oder ein belehrender Tonfall. Ganz natürlich, selbstverständlich und nebenbei, geschieht hier die Integration von Flüchtlingen.

Fast hätte es das das Zeug zum Lieblingsbuch – wenn das abrubte Ende nicht wäre. Das Buch ist zwar in sich geschlossen, es wird aufgelöst, warum die Oma plötzlich Erbsensuppendosen im Dutzend kauft, aber rund ist es dennoch nicht ganz. Gefühlt fehlt einfach ein kurzes abschließendes Kapitel, das alle losen Fänden aufnimmt und wo zum Beispiel das namengebende und zunächst nur vorgeschobene Schulprojekt (Forschungsgruppe Erbsensuppe) dann wirklich anhand von Fluchtgeschichten vorgestellt wird. Oder vielleicht, wo Linas Vater zusammen mit Nils Eltern arabisches Seelenfutter kocht (darf er in der Asylunterkunft nämlich nicht, alles Essen wird dort angeliefert). Es wäre auch wirklich toll gewesen, wenn Nils Oma – deren Figur im Laufe der Geschichte immer passiver erscheint – selbst mal das Wort ergreifen und sich vielleicht ihrem Enkel erklären dürfte.
Auch die ab und an hindurch blinkende Technologiefeindlichkeit verwirrt und ist hoffentlich lediglich der Storyline geschuldet. Es scheint sich um Kinder um die 10 Jahre herum zu handeln, die allerdings alle keinen Zugang zu Smartphones, Pads oder Computern haben. Für Projekte recherchiert werden darf jeweils täglich für 15 Minuten an wenigen und hart umkämpften Plätzen an den Schulcomputern. Man möchte innerlich seufzen, denn auch hier ist doch eigentlich eine Vereinbarkeit möglich und sinnvoll. Die angemerkten Punkte sind allerdings allesamt Kleinigkeiten und Jammern auf sehr hohem Niveau. Der wunderbare Schreibstil Patwardhan und der Hauptteil der Umsetzung wiegen vieles auf. Für Kinder ab acht Jahre.

 

Rieke Patwardhan
Forschungsgruppe Erbsensuppe*
Knesebeck Verlag, 2019
ISBN: 978-3957280237
144 Seiten, 13 Euro

Die Rechte am Cover liegen beim Knesebeck Verlag.

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